Inmitten des Stadtkerns Zürich haben Weyell Berner Architekten ein „Kapselhotel“ nach östlichen Vorbildern, aber gemäss westlicher Standards umgesetzt.
Verwinkelte Gassen, abwechselnd breitere und schmalere Kopfsteinpflasterwege sowie variierende Gebäudefluchten prägen die Struktur des Zürcher Niederdorfs. Flaniert man den Limmatquai entlang und taucht von der Weite des Schiffländeplatzes in die Enge der Rössligasse ein, wird man zu seiner rechten seit Kurzem täglich aufs Neue von einem grünen Murmeltier begrüsst. Dieses verortet hier nicht nur symbolisch das Alpenland Schweiz, sondern kennzeichnet vor allem ein besonderes, neuartiges Hotellerie-Konzept der Grossstadt: Unter dem Namen „Green Marmot“ wird das neue, familiengeführte Hotel in den ehemaligen Büroräumlichkeiten der Swiss Life inmitten des historischen Stadtzentrums seit Juni 2020 geführt. Speziell und einmalig sind diese dabei in doppelter Hinsicht – in der individuell gefertigten Inneneinrichtung sowie dessen Vorbild in japanischen Kapselhotels.
Vorbild im Osten
Doch eben jenes Bild der Kunststoffkapseln Japans, das wir alle vor Augen haben, entspricht weniger unseren gängigen Urlaubsvorstellungen. Denn enge Röhren, die uns an Raumschiffe erinnern und möglichst viele Schlafplätze auf kleinstem Raum ermöglichen, stehen im starken Kontrast zu gemütlichen und grosszügigen Hotelbetten. Von Touristen nur selten mit Komfort, Erholung und Urlaubsstimmung assoziiert, sind diese dennoch für viele Berufstätige ein Mittel zum Zweck. Doch mittlerweile wird diese Form der Übernachtungsmöglichkeit bereits als Boutique-Hotel angeboten und lässt dadurch diese Unterkünfte samt kleiner Wellnessoasen zum besonderen Highlight einer Reise werden.
Übersetzung
Inspiriert von diesem ungewöhnlichen Hotellerie-Konzept, suchte sich der Bauherr Mohamed Taha die Unterstützung bei dem lokalen Architektenduo Weyell Berner Architekten: Seit 2018 arbeiteten diese gemeinsam an dem unkonventionellen Projekt, dass das östliche Hotelbild in das westliche Komfortverständnis und unsere gewohnten Standards übertragen sollte. Mit dem Ziel, günstige Übernachtungsmöglichkeiten für den Tourismus zu schaffen, während die Gäste keinerlei Abzüge in Behaglichkeit und Design machen müssen. Demnach wurden auch nicht einfach die allseits bekannten Plastikkapseln bestellt und plump in den Raum gestellt, sondern im Design bewusst auf Handwerk gesetzt und eine explizite Materialwahl getroffen.
Einfach ankommen
Hinter der weissen Bestandsfassade verbirgt sich die neu gestaltete Lobby des überschaubaren Hotelbetriebs, die über die bestehende Gitterrosttreppe in der Rössligasse erschlossen ist. Bereits hier wird das konsequent durchgezogene Gestaltungsprinzip der Architekten ersichtlich – Minimalismus und eine bewusst sparsame Farbpalette. Folglich erscheinen alle vertikalen Flächen in einem satten Dunkelgrün oder in der Naturoptik des Birkenholzes, während für alle Horizontalen ein dezentes Hellgrau gewählt wurde. Auf unnötige Einrichtung, wuchtiges Meublement sowie dekorative Gegenstände wurde weitgehend verzichtet: Die schlichte Rezeptionstheke, die fix eingebaute Schrankwand sowie ein hinter einer hölzernen Einbauwand versteckter Kaffeeautomat und ein schlichter Hocker stellen das gesamte Mobiliar dar. Durch die sparsame Möblierung eröffnet sich dem Gast hier nun ein noch grosszügiger wirkender Raum, der dennoch durch seine Farbwirkung und Materialität zum Wohlfühlen einlädt und einen guten Kontrast zu der schmalen Seitengasse des Niederdorfs bietet.
Feinheiten
Angelehnt an die asiatischen Vorbilder wird im gesamten Hotel, wie auch bereits in dessen Logo – ein Murmeltier, dargestellt durch dunkelgrüne Linien – ersichtlich, eine einfach verständliche Signaletik zur Orientierung verwendet. Klare und simple Liniengrafiken, die auch über Sprachbarrieren hinweg verständlich sind, geben den internationalen Gästen notwendige Informationen weiter. Diese einfache, geometrische Sprache wurde auch in das Design der spezifisch entwickelten Stecklampe in der Lobby übersetzt, die sich aus verschieden hohen Birkenholzbrettern zusammensetzt und durch eingefräste LED-Leisten dezentes Licht verteilt. Sowohl für die Beleuchtung als auch das Muster des Linoleum-Bodens im Steckprinzip orientierte sich die Architektin Miriam Weyell an den Arbeiten der Zürcher Künstlerin Sophie Taeuber-Arp.
Hausbrauch
Doch bevor mit den eigentlichen planerischen und gestalterischen Arbeiten begonnen wurde, erstellten die Planer vorab ein Bewegungsdiagramm als Grundlage der Grundrissgestaltung. Verschiedene Szenarien wurden durchgedacht, skizziert und einzelne Bereiche miteinander in Verbindung gebracht, sodass die differenzierten Bereiche und hausinternen Abläufe letztendlich bestmöglich positioniert werden konnten. Wonach, anders als gedacht, eben nicht die Schlafeinheiten den zentralen Ort des Geschehens innerhalb der gesamten ersten Etage des Bestandgebäudes widerspiegeln. Ankommen, Sachen ablegen und ab ins Bett oder doch gleich weiter die Stadt erkunden? Je nach Lust und Laune unterscheiden sich die Tagesabläufe der einzelnen Besucher, wobei ein sicheres Depot für Wertgegenstände sowie Hab und Gut, das Zentrum des Hauses darstellt. Ein ganz besonderes Detail ist die verbaute Lüftung in den Schuh- und Kleiderschränken, die unangenehme Gerüche und mögliche Feuchtigkeit verhindert.
Aufgefrischt
Folgt man dem schmalen Gang vorbei an den Schliessfächern, befinden sich an dessen rechter Seite die Sanitärräume des Kapselhotels. Auch in diesen sind die Planer ihrem Farbkonzept treu geblieben und haben die vertikalen Flächen – vor allem die Wände der Nasszellen – wieder in Dunkelgrün gewählt. Für ein optisches Highlight und eine zusätzliche Strukturierung sorgen die bewusst gewählten Kanten der Duschwände in hellem Grün. Darüber hinaus kommt in den geschlechtergetrennten Sanitärräumen jeweils eine zusätzliche Farbe zum Einsatz: Während die Rückwände bei den Waschtischen der Damen mit Wandplatten in zartem Rosa umgesetzt, sind jene in den Waschräumen der Männer in einem hellen Gelb realisiert worden. Erneut findet sich in diesen Räumlichkeiten auch die klare Signaletik und das ebenso schlichte Design wieder, das dem Interieur einen modernen und frischen Charakter verleiht.
Spiel mit Massstäben
Zurück im Gang eröffnen sich an dessen Ende die wieder grosszügigeren Schlafräume: Das gewollte Spiel mit den Massstäben wird hier erfahrbar – in einer anderen Dimension lässt sich dies mit den kleinen Kapseln inmitten der grossen Stadt wiederfinden. Doch hingegen des stereotypischen, asiatischen Vorbilds wurde die Schweizer Variante der Kapseleinheiten in Zusammenarbeit mit dem Vorarlberger Schreiner Martin Bereuter entwickelt. Über unzählige Modelle und Mock-up wurden die Schlafnischen konstruiert und optimiert: Ausgeführt wurden diese in klar lackiertem Birkenholz zur einfachen Reinigung und durch eine simple Ständerkonstruktion mit eingesteckten Platten, die Schlafnischen ergibt. Gleichzeitig konnten somit die Einzelteile der Kapseln über den Balkon des Gebäudes angeliefert werden und vor Ort in den Räumlichkeiten systematisch aufgebaut werden. Die Vollholzkonstruktionen stehen dabei beinahe völlig eigenständig im Raum, sodass sie einen irreversiblen Innenausbau der einstigen Büroräume ermöglichen. Zur akustischen Isolation wurde zwischen zwei nebeneinanderstehenden Schlafkapseln bewusst immer ein Luftschlitz belassen.
Optimiert
Insgesamt wurden so 55 Schlafkapseln umgesetzt, wovon sechs als Doppelschlafkabinen und zwei als rollstuhlgerechte Einheiten realisiert wurden – auch an einen Bereich nur für Frauen haben die Architekten im Grundriss mitgedacht. Die Standardkapsel bietet einen Innenraum mit einem 2.0 x 0.9 m grossen Bett und einer Höhe von 1.1 m – genug, um auch sitzend in diesem verweilen zu können. Für mehr Komfort und Standard sind die Schlafräume mit einem Klapptisch, eigenem Licht, Spiegel, Steckdose sowie einem privaten Fach ausgestattet. Mit einem Vorhang können diese „geschlossen“ werden, um deren Deklaration als Zimmer zu umgehen. Selbst einen eigenen Frischluftanschluss haben die Architekten für jede einzelne Kapsel angedacht, sodass bestes Wohlbefinden garantiert werden kann. Besonders geschickt lösten die Planer die Brandschutzthematik innerhalb der Schlafnischen: Um nicht in jeder einzelnen einen Rauchmelder installieren zu müssen, wurden die Vorhänge im oberen Viertel mit Ketten abgehängt, sodass hier der Rauch abziehen und bemerkt werden kann. Die Privatsphäre im Inneren wird dennoch gewahrt, indem die Eingänge überdies noch alternierend ausgestaltet wurden.
Einfach und unkompliziert
Genauso unkompliziert wie das Design, funktioniert das Konzept des Hotels, das einfaches Ein- und Auschecken erlaubt. Gleichzeitig müssen die Gäste dabei keine Abstriche in Komfort, Qualität oder Ausstattung machen. So kann ein jeder Gast – in seiner kleinen aber feinen Schlafhöhle – sich von einem langen Tag erholen und entspannen.
Inmitten des historischen Stadtkerns Zürich haben Weyell Berner Architekten ein – vor allem für die Schweiz – ungewohntes und einmaliges Hotellerie-Konzept umgesetzt. In den ehemaligen Büroräumen der Swiss Life hat das Architektenduo ein „Kapselhotel“ nach östlichen Vorbildern, aber gemäss westlicher Standards umgesetzt. So schläft es sich seit Neuestem in kleinen, aber feinen Schlafnischen, die die reduzierte und gleich detailverliebte Unterkunft derart einzigartig machen.