Eingebettet zwischen der Zürcherstrasse und der parallel dazu liegenden Eibenstrasse in Frauenfeld, gliedern sich die drei Baukörper der Gewerkschaft Unia + Pensionskasse Unia ins abfallende Gelände der Grundstücksparzelle ein. Bisher versteckten sich die Mehrfamilienhäuser aus den 1970er-Jahren eher unscheinbar hinter einer verwachsenen Baumreihe und erstrahlen nach ihrer umfangreichen energetischen Sanierung sowie auch teilweisen Erneuerung in den Innenräumen nun in neuem Glanz. Mit einem mutigen Farbkonzept sowie einer Erweiterung in der Materialität haben die lokalen Architekten von Schoch Tavli nicht nur die Qualitäten der starken Geometrie der Wohnanlage unterstrichen, sondern dieser zudem einen markanten Wiedererkennungswert verliehen.
Die damalige Annahme einer relativ stark steigenden Einwohnerzahl Frauenfelds war unter anderem der Anlass, die Parzelle zwischen der Zürcher- und der Eibenstrasse im Hauptort des Kantons Thurgau zu bebauen. Hierfür wurde ganz im Sinne des früheren Zeitgeistes sowie des vorhandenen Rationalismus der 1970er-Jahre ein dreiteiliger Bebauungsplan vom Architekten Milenko Lekić für die künftige Wohnanlage ausgearbeitet. Gemäss diesem wurden mit dem Baubeginn 1971 im 5-Jahre Rhythmus nahezu drei baugleiche Volumen mit einer markant gestaffelten Geometrie nebeneinander gesetzt und Raum für insgesamt rund 70 Wohneinheiten unterschiedlicher Grössen geschaffen. Dank der doch sehr stolzen Höhe aller Gebäude und somit deren vertikalen Ausrichtung konnte eine noch heute ausreichende Wohndichte mit einem grossen Anteil an Aussen- und Grünraum gewährleistet werden. Doch die Spuren der Zeit gehen an keinem unbemerkt vorbei, sodass die Eigentümerin, die Gewerkschaft Unia + Pensionskasse Unia, hinsichtlich der Werterhaltung und zudem auch -steigerung der Wohnanlage sowie in Anbetracht der steigenden energetischen Anforderungen eine Antwort zum bestmöglichen Umgang mit dem Bestand suchte. Explizit auf der Suche nach jungen Büros und innovativen Ideen wurde schlussendlich das lokale Architekturbüro Schoch Tavli 2019 mit einer Machbarkeitsstudie beauftragt, das im Rahmen dieser Analyse die energetische Sanierung der Wohnblöcke sowie eine Neugestaltung im bewohnten Zustand vorgeschlagen hatte – und dies auch umsetzen durfte.
Alte Qualitäten nutzen
Ausschlaggebend für das Resultat der Studie und die folgenden baulichen Massnahmen waren dabei die solide Bestandssubstanz, die doch sehr modernen Grundrisse und die spannende Staffelung sowie Geometrie der Baukörper. Durch eine neue Aussendämmung der drei Massivbauten sowie den Austausch der alten Fenster gegen gut isolierte aus Holz-Metallr konnten bereits die nötigen Dämmwerte gewährleistet werden. Mit weiteren additiven und gestalterischen Elementen wurde den Bauten erneut Frische verliehen sowie ein Wiedererkennungswert aufgestempelt, und darüber hinaus wurde das jüngste Gebäude, der C-Block, mit neuen Küchen und Bädern ausgestattet. Während die Wohnungen lediglich im östlichsten Bau erneuert wurden, wurden hingegen in allen drei Bauten die Treppenhäuser umgestaltet: Die vorherigen Profilitgläser der Treppenhäuser wurden ebenfalls gegen Holz-Metall-Fenster ausgetauscht, und die Brüstungen wurden mit rechteckigen Vierkantrohrgittern mit edlen, runden Eichenholzhandläufen modern interpretiert, sodass die Stiegenhäuser nun zu hellen Erschliessungsflächen und atmosphärischen Begegnungszonen gewandelt wurden.
Dichte statt Deko
Einfachheit und schlichte Eleganz ziehen sich dabei als roter Faden durch die Gestaltung. Denn ganz im Gegenteil zu unnötigen Dekorationselementen, diversen elektronischen Gadgets oder unauthentischen architektonischen Additiven setzte das Frauenfelder Architekturbüro hier vielmehr auf einfache und dennoch aussagekräftige Massnahmen. So wurde in diesem Projekt auf das Zusammenspiel von Oberflächenstrukturen, wie der gröbstmöglichen Beschaffenheit des Aussenputzes, klaren Linien und einem durchgehenden Farbkonzept gesetzt – Letzteres dient nicht nur der besseren Orientierung, sondern belebt zugleich die Geometrie der Wohnhäuser. Mit all diesen gestalterischen Mitteln haben die beiden Gründer von Schoch Tavli die Diskussion von Burkhalter und Sumi zur sinnlichen Dichte aufgegriffen. Die einfach reduzierte und dennoch in ihrer Durchbildung und Konstruktion komplexe Auffassung von Architektur haben die beiden während ihrer Anstellung im Zürcher Architekturbüro kennen und vor allem auch schätzen gelernt. Demnach steht nicht die eventuell dem Namen der sinnlichen Dichte nach vermutete Reizüberflutung im Fokus sondern die Gewichtung des Verhältnisses verschiedener Bauteile zueinander, wodurch letztlich der Einfluss der unterschiedlichen konstruktiven Elemente auf die sinnliche Wahrnehmung in den Vordergrund gerückt wird. Der bewusste Umgang mit Massstabssprüngen sowie das Spiel mit verschiedenen Laibungstiefen und Schichtungen durch Vorbauten ergänzen hierin die zweidimensionalen Oberflächeneigenschaften von Farbe und Materialität, sodass ein komplexer Forschungsgegenstand entsteht. Doch nicht nur in der äusseren Erscheinung wurde auf die sinnliche Dichte geachtet: Auch in den innen liegenden, halb öffentlichen Erschliessungsflächen wurde die Wahrnehmungsebene verdichtet, wofür die bestehenden, unterschiedlichen Bodenbeläge im Treppenhaus in Kombination mit neuen Farbakzenten weitere Facetten erhalten haben.
Farbe bringts
Doch wie ermöglichen nun Fassadenkonstruktionen und -färbungen unterschiedliche sinnliche Wahrnehmungen? Wie erhalten verschiedene, einfache Bauteile durch das Zusammenspiel unterschiedlicher Farbnuancen mehr Leben? Wie kann durch die Verwendung subtilster Mittel optische Dichte generiert werden, die zugleich die Sinne auf unterschiedlichste Weise anregt? Um diesen Gestaltungsansprüchen gerecht zu werden, haben sich die Frauenfelder Architekten an den Überlegungen von Burkhalter und Sumi zur sinnlichen Dichte orientiert und insbesondere mit Farbnuancen sowie Oberflächen dem klar strukturierten Baukörper neue Ebenen hinzugefügt – und dabei das Spektrum an Wahrnehmungseffekten erweitert. Daneben wurde die Bedeutung der konstruktiven Elemente verdeutlicht, indem deren Massstabssprünge und verschiedene Laibungstiefen betont wurden sowie insbesondere die zweidimensionalen Oberflächeneigenschaften mithilfe von auffälligeren Farben und Materialität zu einem komplexen Forschungsgegenstand wurden. Von der Theorie in die Praxis übersetzt bedeutet dies, dass man bei diesem Projekt vergebens eine unscheinbare, standardgemässe Fassade sucht: Die Hauptprotagonisten sind hierbei die Farben Rot, Gelb und Grün in gedeckten, dezenten Nuancen, die sich von Haus zu Haus abwechseln und zudem alternierend kombiniert wurden – aussen sowie innen.
Mix and Match
Durch die durchdachte Farbgebung gewinnen die Wohnblöcke neben der Hauptstrasse nicht nur an Präsenz, sondern erhalten zugleich in ihrer vertikalen Ausdehnung eine neue Struktur. Während sich das Sockelgeschoss eines jeden Hauses in Sichtbeton zeigt, wurden die beiden folgenden Stockwerke mit einer hellen, naturweissen Fassadenfarbe versehen und die obersten drei Etagen hingegen in einem etwas dunkleren Grauton gestaltet. Ebenjene farbige Zonierung verleiht den Gebäuden eine optische Unterteilung, die ihnen zudem etwas an ihrer monotonen Masse nimmt und zusammen mit der groben Putzstruktur die Grossflächigkeit der Fassade fürs Auge angenehmer erscheinen lässt. Denn nicht mal Regenrinnen haben das ebenmässige Erscheinungsbild der Gebäude unterbrochen, die dank innen liegender Schächte gut versteckt geführt wurden. Doch bei all der Schlichtheit und Eleganz überraschen die Bauten je nach Ansicht neuerdings mit zwei Gesichtern: So erscheint, wenn man von Osten kommt die Gebäudehülle mit ihren geschlossenen Betonbalkonen sehr kompakt und einheitlich, wobei selbst auf dieser scheinbar monotonen Seite auf den zweiten Blick die bunten Laibungen der Fenster ausgemacht werden können. Diese verleihen überaus selbstverständlich der relativ zweidimensionalen Gebäudeseite zusätzliche Tiefe – aber derart subtil und harmonisch, dass der Farbunterschied erst bei genauer Betrachtung ersichtlich wird. Und dies, obwohl die Farbe der Fensterlaibungen dabei immer bewusst anders gewählt ist als die farbige Stirnseite der Wohnblöcke zur der Zürcher- und Eibenstrasse hin. Gelbe Gebäudefronten und grüne Laibungen, rote Fassadenflächen mit gelben Fenstertiefen oder nicht zuletzt grüne Gebäudeseiten mit rot gestalteten Fensterflächen machen demnach die Farbkombinationen aus. Auffallender ist hingegen die jeweils aufwendiger umgestaltete Westfassade eines jeden Hauses: Hier haben die Architekten die vormals geschlossenen Betonbalkone nun mit Lochblechbrüstungen im ebenfalls dezenten Kaminrot ersetzt und zugleich die privaten Aussenflächen vergrössert. Im Rahmen dieser Arbeiten wurden zudem raumhohe Balkonfenster und -türen eingesetzt, sodass zusätzlich zu den offeneren Brüstungen nun weitaus mehr Licht in die Wohnungen fällt. Für den notwendigen Sonnen- sowie Sichtschutz können die neuen Loggien mit Storen im selben Rotton zu allen drei Seiten je nach Bedürfnis geschlossen werden. Somit erscheint diese Fassadenseite je nach aktuellem Beschattungswunsch der Bewohner:innen immer komplett neu und bekommt dank mal mehr oder weniger roten Flächen ein komplett neues Gesicht. Aufgrund dieses Farbenspiels werden die geometrisch fast gleichen Häuser aus den 1970er-Jahren dabei nicht nur differenziert und lebendiger gestaltet, sondern erhalten gleichzeitig ein frisches, modernes Gestaltungskonzept.
Blühendes Leben
Apropos Lebendigkeit: Nicht nur die Fassade hat im Rahmen der Sanierungsarbeiten an Vita gewonnen, sondern zugleich die Grünzone rund um die drei Wohnblöcke. Schon zuvor diente die grosszügige, umlaufende Gartenfläche als Ort der Begegnung, Raum für nachbarschaftlichen Austausch sowie als Spielplatz für die Kinder. Doch trotz der regen Nutzung wurde der gemeinschaftliche Aussenraum nur mit geringstem Aufwand sowie wenig Aufmerksamkeit gepflegt und sich demnach mehr oder weniger selbst überlassen. Um einen neuen Weg raus aus dieser Tristesse einzuschlagen, wurde für die begrünte Zone gemeinsam mit einer Biologin ein Konzept erarbeitet: Das oberste Ziel der Bemühungen war, die Biodiversität zu förden, wofür einheimische Pflanzen wieder angesiedelt wurden und folglich die Flora sowie die Fauna – wenn auch auf die kleinsten Lebewesen bezogen – neu aufgebaut werden sollten. Von der Theorie in die Praxis übersetzt, bedeutete dies, dass nicht einheimische Pflanzen sowie Bäume entfernt wurden und stattdessen hinsichtlich der Artenvielfalt unterschiedliche hiesige Arten gepflanzt wurden. Zugleich wurden auch die Mieter:innen in diese Vorhaben einbezogen, indem sie motiviert wurden, einheimische Pflanzen in ihren kleinen Gartenflächen sowie auf den Balkonen gegenüber Exoten vorzuziehen. So sollen in Zukunft facettenreiche Grünzonen, ein neu etablierter Naschgarten sowie Kletterpflanzen an den Wänden der kargen Einstellhallen etc. einen Wohlfühlort schaffen. Dabei wird das Motto „Viel in eenig“ gelebt, sodass mit minimalen Eingriffen und auch später mit wenig Aufwand in der Pflege ein authentisches Umfeld garantiert werden kann. Demzufolge wurden alle noch intakten Gartenmöbel der Wohnanlage weiterverwendet und der Bestand weitgehendst in die Umgestaltung mit einbezogen. Denn Nachhaltigkeit ist hier ein Thema: So umschliesst der grüne Faden demnach nicht nur wortwörtlich die drei Wohnblöcke, sondern hatte zudem Einfluss auf die Gebäudetechnik. Um den Nachhaltigkeitsstandards gerecht zu werden, wurde die Ölheizung gegen eine Pelletheizung ausgetauscht, die ausgehend vom Haus A die beiden anderen Häuser versorgen wird.
Back to Basics
Man muss das Rad nicht immer komplett neu erfinden oder verbissen versuchen, eine bestehende Identität komplett umzustülpen. Viel eher sollte man die Herausforderung annehmen, gegebene Qualitäten herauszufiltern, zu unterstreichen und neu zu interpretieren. Genau dies zeigt das Sanierungsprojekt von Schoch Tavli in Frauenfeld, indem sie die Bausubstanz umfänglich analysiert und deren Stärken mit einer weiteren Wahrnehmungsebene in den Fokus gestellt haben. Mit dem Werkzeug der Farbe haben die Architekten eine Lebendigkeit in die Wohnanlage gezaubert und dieser zugleich einen auffälligen Wiedererkennungswert gegeben, der von absoluter Selbstverständlichkeit geprägt ist. Dabei zieht sich dieser Wille der subtilen Einfachheit auch in den Garten weiter, wo anstelle von pflegeintensiven Hecken oder Rosengärten die Vielfalt, Lebendigkeit und Natürlichkeit einheimischer Pflanzen präferiert wird.
©Michael Schoch
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