Das Wohn- und Gewerbehaus in Regensdorf von Marazzi + Paul Architektur schreibt die Geschichte der städtebaulichen Verdichtung entlang der Furttalpromenade fort. Ein mit viel Sorgfalt und Vielschichtigkeit präsenter Baustein, der differenzierte stadträumliche Qualitäten in sich vereinen und auszuhandeln vermag.
Es entwickelt sich viel in Regensdorf, dem Zentrum des Furttals. Seit mehreren Jahren wächst die Gemeinde stark nach innen. Da ist insbesondere das zentral gelegene, rund 21 Hektaren grosse Industrie- und Gewerbeareal nördlich des Bahnhofs, welches über ein enormes städtebauliches Potenzial verfügt und sich mehr und mehr in einen gemischt genutzten Ortsteil umwandelt. Zugleich bindet dieses zweitgrösste Entwicklungsgebiet des Kantons Zürich allmählich die drei Ortsteile Regensdorf Zentrum, Adlikon und Watt zu einer mittleren Stadt zusammen. Mitten drin in dieser Gebietsmetamorphose: Das von der Marazzi + Paul Architektur (Zürich und Bern) realisierte Wohn- und Gewerbehaus, das der Neubebauung in diesem entstehenden Quartier, direkt am Bahnhof, eine ruhige, selbstverständliche Präsenz in der vorhandenen stadträumlichen Grammatik verleiht. Das siebenstöckige Gebäude vereint das private Leben, in den über 200 Mietwohnungen in den oberen Geschossen, mit dem öffentlichen Leben im Sockel. Ein zweiseitig umlaufender Arkadengang lädt zum Flanieren entlang der Geschäfte ein und schafft einen städtischen Charakter. Im Kontrast dazu bietet der grüne Hof vielseitige und ruhige Orte für die Bewohnenden mitten im urbanen Getöse.
Dieser mehrwertig wirksame Baustein, der sich (hof- wie strassenseitig) dem städtischen Geschehen entsprechend artikuliert, ist ein Meilenstein einer bereits länger andauernden Entwicklungsgeschichte innerhalb Regensdorf.
Damit sich das Wachstum am Bahnhof Nord überhaupt konzentriert und flächenschonend entwickeln kann, benötigte die kontextuelle Umwandlung der ausgewiesenen, bebaubaren Grundstücke eine mehrjährige Testplanungs- und Auswertungsphase inklusive BZO-Revision; diese regelte die zulässige Bau- und Nutzweise der entsprechenden Baufelder, soweit diese nicht durch eidgenössisches oder kantonales Recht bestimmt war. Zugleich waren grosse Immobilen-Investoren wie die Firma Mobimo AG notwendig, die das Entwicklungspotenzial erkannten. Eines dieser hochpotenten Baufelder ist das knapp 1000 Quadratmeter grosse Grundstück, das den südlichen Eingang in das Entwicklungsgebiet bildet und damit von grosser städtebaulicher Bedeutung ist; es diente einst dem Hauptsitz der «STUDER ReVox», ein Unternehmen, das weltweit führend gewesen war bei der Herstellung von Aufnahmegeräten für Tonstudios.
Für dieses Kernstück des Entwicklungsgebiets wurde vor mehreren Jahren ein Studienauftrag mit sechs Architektenteams ausgeschrieben. Es galt dabei ebenso eine dem eigentlichen Planungsperimeter übergeordnete städtebauliche Leitidee zu entwickeln wie auch die Architektur eines Wohn- und Gewerbegebäudes, die sich in die städtebauliche Grundstruktur einfügt, mit attraktiven Freiräumen. Eine Architektur, die mit der unabhängigen Entwicklung des gesamten Ortsteils Watt und ihren zukünftigen Komponenten phasengerecht einhergeht.
Das Siegerprojekt der Marazzi + Paul Architektur wurde als BIM-Pilot der Mobimo weiterentwickelt und überzeugt ebenso hinsichtlich der städtebaulichen und architektonischen Qualität als auch hinsichtlich der Nachhaltigkeit und trägt dem Anspruch an preisgünstiges Wohnen Rechnung. Eine klassische Blockrandbebauung – mit klarer Trennung von Wohnen in den Obergeschossen und Gewerbenutzung im Sockel – besetzt den Bauperimeter vollumfänglich. Das markante Volumen umschliesst im Inneren einen sehr intimen, begrünten Innenhof, der über zwei Durchgänge mit der Stadtebene in Verbindung tritt. Damit verzahnt sich das Gebäude mit der zukünftigen Furttalpromenade, eine Quartiersachse, die zukünftig autofrei werden soll, komplett begrünt. Zu ihr führt der erdgeschossige Arkadengang die Publikumsströme.
Die Arkade nimmt das Potenzial der vorhandenen städtischen Aussenräume auf und ist daher eine integrierende Geste zur Stadt. Die publikumsorientierten Flächen im Erdgeschoss aktivieren die Fussgängerflächen und kommunizieren mit dem öffentlichen Raum. Die bewusste Erhöhung des Erdgeschosses ermöglicht es, je nach Bedarf mit Galerieebenen, oder eingeschobenen Boxen zu arbeiten, um eine zweite, flexibel nutzbare Ebene zu generieren. Ein nutzungsvariables Gefüge, in dem sich je nach Orientierung, Richtung und Publikumsintensität (vom Grossverteiler, Restaurant, Kindergrippe, bis Büros und Praxen) die Flächen bespielen lassen, mit dafür unterschiedlich eingesetzten Erschliessungstypen.
Die Obergeschosse werden klar vom Erdgeschoss als Wohnnutzungsgeschosse getrennt. Die von aussen ablesbare Adressbildung, der einzelnen Wohnungen, erfolgt ebenerdig von den Aussenseiten der Blockrandstruktur aus. Die Einschnitte definieren drei Volumen mit verschiedenen Wohnungstypologien (2.5- bis 4.5-Zi-Whg). Ein Laubengang erschliesst entlang des Ostrings und zu Teilen der Furttalpromenade pro Geschoss zwölf, zum Innenhof orientierte, Wohnungen. Der Laubengang fungiert als Schallpuffer.
Die für Kleinhaushalte (Singles, Paare bis Kleinfamilien) gedachten Wohneinheiten reagieren spezifisch bzw. je nach Ausrichtung auf das vorhandene Schallniveau und organisieren die Nebenräume zur Strasse, die Haupt- und Nachträume zum Innenhof hin. Wenige Einheiten sind einseitig gegen den lärmabgewandten Hof orientiert. Teils sind die Wohnungen durchgesteckt und jene auf Bahnhofsseite haben jeweils eine im Südwesten angeordnete Loggia (hohes Schallaufkommen). Alle, bis auf die an die Furttalpromenade angrenzenden, mit «Lüfter-Loggien» versehenen Wohnungen, haben übereinanderliegende vorgehängte Balkone. Die Einschnitte, welche die Wohnungen differenzieren, sind intensiv begrünt und bieten den angrenzenden Wohnungen Terrassen.
Die unterschiedlichen Wohnungsgrössen sind über alle Geschosse organisiert, was sich hinsichtlich der Vermarktung als sehr positiv ausgewirkt hat. Sämtliche Wohnungen waren innerhalb kurzer Zeit vermietet. Die Wohnanlage wirkt insgesamt dem gesellschaftlichen Wandel entgegen, den sich verändernden Lebensbedingungen und Bedürfnissen. Sie ist eine mögliche Antwort darauf, in die sich auch der begrünte, flirrende Hof integriert, der als Frei- bzw. Interaktionsraum eine identitätsstiftende Adresse bildet, der zum lebhaften Bespielen animiert und über den die Bewohnerschaft einen starken Zusammengehörigkeitssinn entwickeln kann.
Der ruhige Innenhof bietet sowohl den Bewohnenden wie auch den Menschen aus dem Quartier einen wertvollen Rückzugsort, und stellt einen qualitativen Kontrast zum belebten und urbanen Umfeld dar. Zusätzlich gewährleistet die Hoffläche eine öffentliche Verbindung zwischen Bahnhof und Furttalpromenade. Von einem der zwei Durchgänge gelangt man in das Innere des «Gartenhofes», über den sich die einzelnen Eingänge miteinanderverbinden. 37
Der neue Blockrandbau schreibt, in direkter Nachbarschaft zum Bahnhof, die Geschichte der städtebaulichen Verdichtung entlang der Furttalpromenade fort. Hier entsteht keine typische Agglomeration, sondern ein Stück Stadt, in der das frühere Industriegebiet den Anschluss ans 21. Jahrhundert finden will. Das Wohn- und Gewerbehaus von Marazzi + Paul Architektur ist dafür ein erster, mit viel Sorgfalt und Vielschichtigkeit präsenter Baustein, der differenzierte stadträumliche Qualitäten in sich vereinen und auszuhandeln vermag.
Text: Lukas Bonauer
©Regine Giesecke
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