Durch Baumkronen wandern, voll und ganz in den Wald eintauchen und dabei die Natur hautnah erleben – genau das bietet der längste Baumwipfelpfad der Welt seinen Besuchern. In luftiger Höhe verbindet der „Senda dil Dragun“ die Laax Murschetg und Laax Dimplaun, begeistert neben der tollen Aussicht mit individuellen Erlebnisorten und vermittelt Wissen rund um Flora und Fauna inmitten der eindrücklichen Szenerie von Laax.
Ob Biken, Wandern oder Wintersport – die Region Laax ist bekannt für ihr breites Outdoor-Angebot, das letztes Jahr um ein Erlebnis für Gross und Klein erweitert wurde. Nach mehrjähriger Planung und einjähriger Bauzeit verbindet seit Juli 2021 nun der neue Baumwipfelpfad „Senda dil Dragun“ in einer Höhe von 13 bis 28 m über dem Waldboden die Laax Murschetg und Laax Dimplaun. Mit seiner Länge von 1.56 km stellt der 2 m breite, hölzerne Drachenweg den längsten Pfad der Welt durch die Baumkronen dar: Auf den Spuren des Drachens kann dabei nicht nur die Natur mal von einer anderen Perspektive aus erlebt und die einmalige Aussicht auf die Bergwelt der Region genossen werden, sondern zudem noch Wissenswertes zu Flora und Fauna in Erfahrung gebracht werden. Für Letzteres kann unter anderem an der Bergbahnkasse in Laax Murschetg ein Tablet oder Smartphone inkl. Kopfhörer für das digitale Erlebnis am Pfad ausgeliehen werden.
Gut geplant
Entworfen wurde das neue Naturerlebnis vom lokalen Architekturbüro Hofmann und Durisch in Zusammenarbeit mit dem Ingenieurbüro Clarplan, die in dieser Konstellation zuvor schon andere öffentliche Bauten in der Region Laax umsetzen durften. Ein zentrales Thema innerhalb des Projekts spielte der Aspekt der Regionalität: So legte die Gemeinde Laax als Bauherrschaft nicht nur die Planungsarbeiten in die Hände lokaler Planer und Gewerke, sondern fokussierte zudem konsequent auf die Verwendung von Materialien aus der nächsten Umgebung. Demzufolge wurde die Pfadkonstruktion komplett aus heimisch geschlagenen und lokal verarbeiteten Fichten- und Tannenhölzern gebaut, wofür rund 1060 m3 des natürlichen Baustoffes verwendet wurden. Getragen wird der hölzerne Pfad von insgesamt 521 Stützen, die in ihren Längen von 1.9 m bis 21 m variieren und den Besucher auf den rund einstündigen Spaziergang durch die Baumkronen emporheben. Hinabzublicken, ohne dabei hinunterzufallen, gewährleistet in den luftigen Höhen eine Brüstung aus verzinktem Stahl – im Gesamten wurden 115 t des Metalls verbaut –, auf deren breiten Stahlschwertern ein angenehmer, hölzerner Handlauf aufgelegt wurde und der den 2 m breiten Steg einsäumt.
Mit der Natur
Doch vielmehr als die Fragen rund um die Sicherheit oder auch zur Materialwahl musste der Umgang mit der komplexen Topografie in Kombination mit den unterschiedlichen baulichen Vorgaben geklärt werden. Denn der Pfad folgt dem natürlichen Terrain und wurde hierfür möglichst subtil in die Natur integriert. Demnach wurden die vertikalen Trägerstützen für eine natürliche Optik in ihrer ursprünglichen Form als runde Baumstämme belassen und stehen auf punktuell abgestützten, klein dimensionierten Stahlrohren. Bewusst wurde hier auf massive Betonfundamente verzichtet, wodurch der Waldboden weitestgehend geschont und die baulichen Eingriffe in die Natur auf ein Minimum beschränkt werden konnten. Doch die Rücksicht auf den natürlichen Verlauf des Geländes brachte gleichermassen auch Herausforderungen mit sich: Um beispielsweise die Rollstuhlgängigkeit des Pfades zu gewährleisten, mussten die Planer die Höhenunterschiede innerhalb des Weges mit einer maximalen Neigung von 6 Grad überwinden.
Bildersprache
Der Ein- beziehungsweise Ausstieg des Drachenwegs wird zu beiden Seiten von jeweils einem Turm markiert – wobei keine Wegrichtung vorgeschrieben ist und der Pfad von beiden Seite her begangen werden kann. Um auch hier die Barrierefreiheit zu garantieren, sind in beiden Bauwerken Liftanlagen im tragenden Betonkern integriert, der nach oben hin mit auskragenden Holzbindern geschmückt ist. So lassen sich die beiden auffälligen Bauten in ihrer Formensprache als freie Interpretation von Bäumen verstehen – der kompakte Kern als Stamm mit einem schmückenden Astwerk. Beim Turm in Murschetg umspielen zusätzlich eine gewundene Holztreppe sowie eine 74 m lange, spiralförmige Tunnel-Rutschbahn aus Edelstahl von Wiegand Slides den tragenden Kern und finden ihren Platz zwischen dem Stamm und den Bindern. Beauftragt mit der Lieferung der extralangen Inox-Röhren-Rutschbahn wurde die Firma GTSM, die schweizweit schon mehrere solche grossmassstäblichen Projekte zu ihrem Portfolio zählen kann.
Kraftorte
Unterwegs laden vier unterschiedlich gestaltete Plattformen auf dem rund einstündigen Weg zum Verweilen ein und bieten dabei jeweils Sitzmöglichkeiten, Informationstafeln und immer wieder eine neue Perspektive auf das einmalige Panorama an. Die heterogene Formensprache entspringt dabei deren unterschiedlichen Funktionen: So verkörpert Uaul Casti, die erste Zwischenstation von Murschetg her kommend, das Auge des Drachens. Ihre organisch verbreiterte Form umschliesst eine Öffnung, die einen direkten Blick auf den darunter liegenden Waldboden erlaubt. Zudem bietet dort ein Fernrohr die Möglichkeit, Vögel als auch andere Wildtiere in der Ferne zu erspähen. Auf einer Lichtung in Ravanasc befindet sich die tiefstgelegene Plattform des Pfades, deren Architektur aus der Nähe zum Boden resultiert und dadurch das dortige emsige Treiben von Insekten und Schmetterlingen am Waldboden erfahrbar macht. Hingegen bietet die terrassierte, dem steilen Terrain folgende Auskragung bei Dimplaun Sura zwei spektakuläre Ausblicke: Hinab ins Tal sowie bergseitig in eine Waldschneise, die gern gut besucht von Rehen und Hirschen ist, wird hier die kontrastreiche Topografie in Szene gesetzt. Auf dem letzten Zwischenstopp des Baumwipfelwegs stehen wiederum Wildtiere im Fokus: Jägerhorsten nachempfundene Unterstände laden zum Verweilen ein und bieten den Besuchern dabei zugleich Wetterschutz sowie eine Tarnungsmöglichkeit. So fühlt sich die scheue Fauna des Waldes ungestört und kann unauffällig von oben herab observiert werden.
Waldbaden
Vom ruhigen Spaziergang durch die Natur, um dem Alltagsstress zu entkommen, von der Entdeckungstour zwischen unterschiedlichen Baum- und Waldarten über einen musikalischen Exkurs durch den bunten Vogelgesang bis hin zum eindrücklichen Panoramaweg bietet der neue Baumwipfelpfad in Laax ein vielseitiges Erlebnis für Gross und Klein.
© Philipp Ruggli
Weitere Informationen zum Baumwipfelpfad finden Sie hier.