Adelboden, ein typisches Alpendorf mit Blockhütten und kleinen Chalets – so beschreibt das Klischee diese Touristendestination. Doch aus dem Gefüge aus vernakulären Architekturen sticht seit den 1930er-Jahren ein Freibad heraus, das nicht nur farblich einen Kontrast zum Ort herstellt. Die Anlage ist Zeugin ihrer Zeit, sie zeigt die Euphorie des touristischen Aufschwungs Anfang des 20. Jahrhunderts.
Ganz im Gegensatz zur Architektur des Dorfes
Bei einem Besuch im Freibad Adelboden sticht zunächst der auffällige farbige Anstrich ins Auge. Dieser ist seit 1931 Teil des Konzepts und gehört zur Anlage. 1919 ermutigte der Deutsche Werkbund in seinem „Aufruf zum farbigen Bauen“, Farbe vermehrt einzusetzen. Die Silikatechnik, die Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt wurde, ermöglichte im Gegensatz zur eher blassen Kalktünche einen leuchtenden Farbanstrich. Farbuntersuchungen im Adelbodner Bad zeigten, dass der originale Anstrich dem Keim-Farbenblock von 1928 entspricht. Der Architekt und Ingenieur des Freibads Adelboden Beda Hefti nahm den Aufruf des Deutschen Werkbunds ernst: Es gelang ihm, mit dem Einsatz von Farbe eine besondere Stimmung zu erzeugen.
Zeitgleich mit der Strömung des Bauhaus fand im deutschsprachigen Raum die Bewegung „Neues Bauen“ statt. Anhänger dieser Strömung setzten konsequent auf neue Materialien und waren experimentierfreudig. Neue Techniken wurden direkt am Bau ausprobiert und ergaben dementsprechend aussergewöhnliche Lösungen. Auch im Freibad Adelboden wurde experimentiert: Um besipielsweise in den Kinderduschen Wasser freizugeben, muss der Ablaufschacht betreten werden. Auch die Warmwasseraufbereitung war fortschrittlich für die damalige Zeit, denn das Wasser wurde zum Vorwärmen auf dem Flachdach der Hochbauten vorgewärmt.
Beda Hefti zielte darauf ab, sein Wissen in Statik, Physik und Chemie in Einklang mit Architektur zu bringen und war als entwerfender Ingenieur eine Ausnahme. Schon seine ersten Freibadanstalten, die noch neoklassizistischen Entwurfsregeln folgen, zeigen seine Absicht, Ingenieurskunst und Architektur symbiotisch miteinander zu verbinden. Die aus seiner Feder stammenden Freibäder Murten, Gstaad und Engelberg zeichnen sich zusätzlich durch die sorgfältige Einbettung in die Topografie aus und beweisen seine Kompetenz im Freibadbau in Hanglagen. Auch in Adelboden ist das Freibad sorgfältig in den Hang eingefügt: Der Eingang zum Freibad „Gruebi“ befindet sich am tiefsten Punkt der Anlage, der Weg führt am Kinderbecken vorbei zu den Kabinen. Das bedeckte Gebäude mit den Wechselkabinen, Duschen und Imbissecken bildet eine Terrasse für die darüberliegende Liegewiese, den Sandstrand und das Schwimmbecken. Dass das Becken ursprünglich nach olympischen Vorgaben entworfen worden war und die Freiflächen zwischen den Ebenen dem Sport dienen sollten, zeugt von der Begeisterung des Architekten für Sport und Bewegung.
Das Konzept verschwindet
Bis in den 50er-Jahren blieb das Schwimmbad praktisch unverändert. Ursprünglich verfügte das Freibad über einen Sandstrand, der jedoch als erstes Element wegen der vielen Algen weichen musste. In Aufnahmen von 1962 steht anstelle des ursprünglichen Sprungturms aus Beton eine stählerne Struktur. Die Betonüberdeckung der Armierungseisen war in den 1930er-Jahren noch minimal, was schnell zu Korrosionsschäden führte. 1974 musste der Musikpavillon entfernt werden, da das weit auskragende Betondach eingeknickt war. Das ursprünglich kreisrunde Kinderbecken war zur Zeit der Erstellung ein wichtiger Kontrast für den Kegel des Pavillons, doch dessen Form veränderte sich Anfang der 1980er-Jahre zu einer unregelmässigen Geometrie. In dieser Zeit wurden ebenfalls Garderobennischen zugemauert und die runden Duschen ausser Betrieb gesetzt, was zu Rost- und Kalkbildung führte. Auch die zentrale Uhr aus Beton verschwand. Die letzte Sanierung des Bads fand 2004 statt, als die Beckenlänge auf 25 Meter reduziert und die übrige Fläche als Sonnendeck umfunktioniert wurde. Der Sprungturm verschwand und sämtliche Oberflächen wurden mit einer Dispersionsfarbe überstrichen, ohne auf die originalen Farbtöne zu achten. Viel war von der Idee Heftis nicht mehr übrig geblieben, der ursprüngliche Charakter des Freibads war fast verschwunden.
Zukunft des Freibads in Händen der Bürger
Das Freibad Adelboden begann seine Existenz in einer finanziell und wirtschaftlich herausfordernden Zeit. Bis Ende des Zweiten Weltkrieges konnte der Betrieb nur das erste volle Betriebsjahr mit schwarzen Zahlen abschliessen. Doch nach dieser Zeit erhöhten sich die Besucherzahlen und die finanzielle Lage des Freibads verbesserte sich. Verschiedene Umstände führten jedoch dazu, dass das Freibad 2005 Konkurs meldete und in den Besitz der Gemeinde überging. 2010 wurde ein Sanierungskonzept erstellt, vor das Volk gebracht und wegen der hohen Sanierungskosten und der beliebigen Gestaltung deutlich abgelehnt. Dies hätte eigentlich das Ende des Freibads bedeutet – doch als Übergangslösung betrieben eine Interessensgemeinschaft und der Schwimmklub Adelboden das Bad. Die Betreiber bekamen die Auflage, einen Vorschlag für ein Nachfolgeprojekt einzureichen. Dieses Projekt erhielt im Gegensatz zum Erneuerungkonzept einige Jahre vorher ein deutliches „Ja“ vom Volk – trotz den hohen Sanierungkosten. Für die Neugestaltung des Schwimmbads wurde das Architekturbüro „akkurat bauatelier“ aus Thun beauftragt.
Wiederherstellung unter Denkmalschutz
„akkurat bauatelier“ legte besonderes Augenmerk auf eine denkmalgerechte Sanierung. Wo bauliche Substanz noch erhalten geblieben war, versuchten die Architektinnen und Architekten, diese zu bewahren. Waren Bauteile nicht mehr vorhanden, wurden sie neu gestaltet und klar vom Originalbestand unterschieden. Trotzdem sollten sich die neuen Elemente ins Gesamtbild harmonisch einfügen und den Bestand respektieren.
Die Architektur des Neuen Bauens, technikfreudig und farbenfroh, ist vor allem in technischen Aspekten ein schwieriges Thema. Es wurden Materialien und Verfahren eingesetzt, deren Lebensdauer nicht zuverlässig bestimmt werden konnten. Als Ingenieur setzte Beda Hefti auf dauerhafte Materialien, trotzdem gibt es Elemente, – beispielsweise der Mechanismus in den Kinderduschen – die vom Rost angefressen oder mit Kalk zugedeckt waren. Einen grossen Wert legten die Denkmalpflegerinnen und -pfleger auf die noch originalen Keramikplatten, die sich unter Kalkablagerungen von bis zu zwei Zentimetern versteckt hatten. Mit viel Geduld wurden diese von der Kalkschicht befreit, fehlende Stellen und Risse ausgeflickt. Sämtliche neuen Leitungen und Armaturen sind sichtbar montiert, um die Platten nicht zu beschädigen.
Verschärfte Sicherheitsnormen
Ursprünglich hatte das Schwimmbecken eine Länge von 50 Metern, was im Zuge der Renovationen im 20. Jahrhundert auf 25 Meter verkürzt worden war. Heute liegt das Becken wieder in originaler Länge in der alpinen Topografie und ist in seiner Form einmalig in der Schweiz. Der Hangdruck auf das Becken konnte verringert werden und eine neu verlegte Folie garantiert die Dichtigkeit des Beckens. Der neue 3-Meter-Sprungturm in Beton, der sich gestalterisch an den Turm von Beda Hefti anlehnt, schliesst das Schwimmbecken räumlich ab.
Gerne hätten die Projektverantwortlichen wie ursprünglich einen 5-Meter-Sprungturm aus Beton gebaut, was die verschärften Sicherheitsnormen jedoch verhinderten.
(Fast) so wie früher
Trotz der veränderten Ausgangslage und den neuen Normen gelang es „akkurat bauatelier“, den ursprünglichen Ausdruck Heftis zu rekonstruieren und dem Freibad sein altes Gesicht zurückzugeben. Der Musikpavillon und sein Pendant, das Kinderbecken, erscheinen heute wie in ihrer ersten Form, der Laubengang ist in seiner offenen Ausführung wiederhergestellt und alle Elemente strahlen in ihrer anfänglichen Farbe. Der Kunstführer der GSK (Gesellschaft für Schweizer Kunstgeschichte) lobt den Eingriff von „akkurat bauatelier“ mit folgenden Worten: „Es ist gelungen, mit der Sanierung diesen ursprünglichen Geist, die klare architektonische Haltung und die Stimmung des modernen Freibads wiederzubeleben. Durch die wiedererlangte Klarheit des ursprünglichen Entwurfs repräsentiert dieser Zeuge der schweizerischen Moderne keine unsorgfältige Beliebigkeit, sondern einen sensiblen Umgang mit dem Baudenkmal. Gerade angesichts der in alpinen Tourismusregionen mehr und mehr dominierenden massstabslosen Neubauten – Chalets, die einem Alpenstil in grotesker Weise nacheifern – ist eine Besinnung auf die gestalterische Sensibilität und Eigenständigkeit der Moderne angezeigt.“