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Das blühende Leben

Ein Nest für alle und das im grossen Stil: Die Wohnsiedlung „Westhof“ von Conen Sigl Architekt:innen Dübendorfs Hochbord-Quartier lässt die ehemalige Gärtnerei der Familie Kohler wieder aufleben und verspricht – wie der Name der Adresse an der Zukunftsstrasse benennt– eine blühende und vor allem grüne Zukunft. Dabei bezieht sich die Vielfalt nicht lediglich nur auf die Bepflanzung der Siedlung, sondern trifft zudem auf die Gestaltung
der Wohnungen, deren Ausstattung sowie das Nutzungsprogramm der Siedlung und deren Bewohner:innen zu.

Unweit des Bahnhofs Stettbach und im Schatten des Jabee -Towersbringt die neue Wohnsiedlung von Conen Sigl Architekt:innen das blühende Leben auf das Areal der ehemaligen Kohler-Gärtnerei zurück. Zwischen Eisenbahnschienen und der stets urbaner werdenden Struktur an der Grenze von Dübendorf zu Stettbach versucht das Projekt „Bello“ der Natur wieder ein Stück Lebensraum zurückzugeben und eröffnet zugleich einen gemeinschaftlichen, durchmischten Wohnraum – wortwörtlich – im Grünen. Ganz nach dem Motto „Zukunft braucht Herkunft“ bezieht sich der Neubau im grünen Kleid auf die Geschichte des Grundstücks sowie die Familie Kohler und schafft dank intensiver Recherche und Auseinandersetzung mit der umgebenden Flora und Fauna eine optimale Grundlage für ein zukunftsweisendes Morgen. 

Ein Anfang im Ende
Viele Jahre lang hat die Gärtnerei der Familie Kohler die Flächen entlang des Chästrägerwegs eingenommen und die dortige Biodiversität aufrechterhalten. Mit zunehmender Urbanisierung, der dichteren Bebauung und der Verkleinerung der Familiengärtnerei haben sich die Grünflächen auf ein Minimum reduziert – bis letztlich nur mehr ein kleines Haus samt wildem Garten die vorherige Nutzung vermuten liess. Doch um nicht ausschliesslich in der Vergangenheit zu schwelgen und dem Grundstück eine florierende Zukunft zu schenken, ohne dabei den Verkauf der Familienliegenschaft zu forcieren, suchten die Eigentümer einen Partner zur Finanzierung eines Bauprojekts und lancierten im Anschluss einen eingeladenen Wettbewerb. Den gleichen Wertvorstellungen folgend, realisierte die Palmahus AG der Familie Kohler gemeinsam mit der Wogeno-Genossenschaft den Siegerentwurf des Zürcher Büros Conen Sigl Architekt:innen und schaffte mit der neuen Siedlung leistbare Mietwohnungen im Grossraum Zürich. Unter dem Fokus auf Gemeinschaft sowie ganzheitlicher als auch naturnaher Planung und Gestaltung wurde ein facettenreicher Neubau mit insgesamt 83 Wohnungen, davon 40 genossenschaftlich vermietete Einheiten sowie zusätzlichen gewerblicheRäume und weitere gemeinschaftliche Nutzflächen, umgesetzt.

Bedürfnisse erkennen
Doch abgesehen vom leistbaren Wohnraum rückt das Neubauprojekt insbesondere die Bedürfnisse der Bewohnenden – Mensch und Tier – in den Vordergrund. Demnach stand von Beginn an das gemeinschaftliche Zusammenleben im Zentrum, das insbesondere in den den Wohnraum erweiternden, halböffentlichen Flächen der Siedlung zum Tragen kommt. Mit gewerblicher Nutzung, einem gemeinschaftlich angelegten Nutzgarten entlang des Chästrägerwegs, weiteren Gemeinschaftsflächen auf der umlaufenden Hochebene, dem Innenhof als Begegnungszone für Gross und Klein sowie diversen Werkstätten und sogenannten multifunktionalen Flexräumen wird die Vielfalt und das Miteinander umfänglich zelebriert. Mit ebenso grosser Sorgfalt wurden die Bedürfnisse der kleinsten und vermutlich unscheinbareren Bewohner erörtert: Um die Biodiversität des Areals aufrechtzuerhalten, wurde vor allem die Vogelpopulation aufmerksam studiert und analysiert. Ein Vorgehen, das auf das Interesse des Bauherren Jürg Kohler zurückzuführen ist, der unter anderem bekannt für seine Tier- und Naturskizzen ist.
In Zusammenarbeit mit der Vogelwarte Sempach wurden folglich individuelle Exposés von der Dohle über den Star bis hin zur Fledermaus erstellt, auf deren Grundlage nicht nur das Begrünungskonzept erarbeitet, sondern vor allem die notwendigen Nistplätze mit absoluter Selbstverständlichkeit von Beginn an in die Architektur integriert wurden. Gemäss dieser vorausschauenden Planung verstanden die Architekt:innen diese Details weniger als Add-Ons für ihre Architektur, sondern vielmehr als formgebende Rahmenbedingungen für den Neubau. Dieser Gestaltungswille zeigt sich in vor allem in Details wie bspw. den notwendigen Abluftkaminen, in welche von Beginn an Platz für Brutkästen eingeplant wurde.

Formgebend
Doch auch die Geschichte des Grundstücks, die Nähe zur Eisenbahn, die Berücksichtigung der Flora und Fauna, die Bedürfnisse der Bewohnenden sowie die umgebenden urbanen Strukturen haben die jetzige Siedlung massgeblich geformt. Als Ergebnis präsentiert sich ein Dreiseithof mit unterschiedlicher Gestaltungssprache: Vom Bahnhof Stettbach kommend, markiert der Kopfbau den Auftakt der Siedlung, er dreht sich leicht ab und öffnet den Hof einladend zur Nachbarschaft und zum nebenliegenden Jabee-Park, was durch die gewerbliche Nutzung und Neueröffnung einer Bäckerei im Erdgeschoss gefördert wird. Zugleich grenzt er die neue Siedlung mit seiner Positionierung subtil von den angrenzenden Wohnhäusern ab und deutet hierfür den Zugang zum halböffentlichen Innenhof an. Nordseitig führt ein schmaler, lediglich dreigeschossiger Flügelbau diesen viergeschossigen Kopfbau weiter. Zuoberst bildet dort die Gemeinschaftsdachterrasse den Abschluss, die von Pergolen in typischer Giebelform gekrönt wird und eine ikonografische Landmarke widerspiegelt und an die ehemalige Gärtnerei erinnern. Um in den Wohneinheiten bestmöglich dem Verkehrslärm entgegenzuwirken, orientieren sich die  Clusterwohnungen der Stiftung Alt-ried, die von Menschen mit körperlicher, kognitiver und psychischer Beeinträchtigung bewohnt werden, in Richtung Innenhof.
Diesem Wohnriegel liegt ein breiterer Flügel gegenüber: Mit seinen neun Stockwerken überragt dieser den Parallelbau, verleiht jedoch mit dem Rücksprung in seiner hofseitigen Fassade dem Innenhof einen angenehmen Massstab. Mit diesem Fassadensprung im dritten Geschoss führt der Kubus zudem die umlaufende öffentliche Terrasse fort, die zudem separat über einen zentralen Treppenturm im Innenhof erschlossen ist. Im Gegensatz zum ikonografischen Dachabschluss des bahnseitigen Baus, zeigt sich der voluminösere Bau als Quader mit Flachdach definitiv zurückhaltender. Ein relativ durchlässiger Stirnbau verbindet die beiden Riegelbauten an der Zukunftstrasse und beherbergt insbesondere gemeinschaftliche Räumlichkeiten. Durch das fast durchgehend verglaste Erdgeschoss gewährleistet es eine Durchlässigkeit und lässt Blicke von der öffentlichen Strasse in den Innenhof und weiter zu.
Apropos Ein- und Ausblicke: Das Spiel mit Transparenzen und Perspektiven findet sich auch in den Treppenhäusern wieder, die alle zum Innenhof orientiert sind und in der Fassade sichtbar die horizontal betonten Riegelbauten strukturieren. Die relativ knapp gehaltenen inneren Erschliessungen gewinnen durch  verspiegelte Wandflächen, grosszügige Fenster in Richtung des Hofs und teils verglaste Bereiche im unterste Geschoss an Weite und erlauben zugleich spannende Blickwinkel.

Vielfalt
Das Thema des Facettenreichtums und der Vielseitigkeit wird auch im Inneren des Neubaus weitergeführt: Mit einem vielfältigen Mix an Wohnungsgrössen und -typen bietet der Westhof Wohnraum für unterschiedlichste Lebensformen und diverse Ansprüche. Einzimmer- oder Familienwohnungen, Clusterwohnungen, Ateliers, Jokerzimmer oder Wohngruppen sind somit Teil  des breit aufgestellten Repertoires der Siedlung – die gewählte Stützenplattenstruktur sowie die grossteils nicht tragenden Innenwände lassen dabei weiteren Spielraum für etwaige künftige Umnutzungen offen. Baulich sowie auch in ihrer Ausstattung gleicht daher kaum eine Wohneinheit der anderen: Nicht nur abhängig vom jeweiligen Wohnungseigentümer unterschieden sich die Wohnungen in ihrem Ausbaustandard, sondern auch innerhalb dieser voneinander und spiegeln förmlich eine bunte Blumenwiese wider. Unterschiedlichste Bodenbeläge treffen auf mehr oder weniger kräftige Farben der Einbaumöbel ,und selbst Details wie Sockelleisten wurden unterschiedlich ausgeführt.
Farbenfroh und mit auffallenden geometrischen Akzenten wartet gleichermassen das Treppenhaus auf: Die Liftanlage erstrahlt in einem satten Königsblau, und sämtliche Wohnungstüren heben sich in einem tiefen Schwarz von den Sichtbetonwänden ab. Zugleich zahlt sich hin und wieder auch ein Blick nach oben aus – vor allem an den gemeinschaftlich genutzten Erschliessungszonen: So zieht sich beispielsweise in einfachen Formen das Blau des Lifts als Farbblock an der Decke fort. Ebenso farblich bespielt werden die Decken der Durchgänge sowie der Gemeinschaftsräume, die mit gelben Kreisen versehen sind und an diesen Orten Farbtupfer setzen.

Charme bewahren
Von aussen erscheint der Neubau hingegen zurückhaltender und in seiner Materialität sehr reduziert – womit er formal gesehen den Charakter der ehemaligen Gärtnerei aufgreift. Dabei war die Langlebigkeit aller verwendeten Baumaterialien in der Planung und im Bau zentral und ist zudem durch die flexible Raumstruktur gegeben.
Die Geschichte und industrielle Vergangenheit der Bauparzelle kommt erneut in den Pergolen auf dem Nordflügel, die in ihrer Form an Gewächshäuser erinnern, sowie in der hinterlüfteten Welleternit-Fassade, die sich an alten Lagerschuppen orientiert, zum Ausdruck. Die dezente Fassade betont die Baukörper horizontal und schafft durch das Spiel mit zwei unterschiedlichen Grüntönen angenehme Proportionen, die von silbernen Eternitbändern unterbrochen und im höheren Flügelbau durch die durchgehenden Balkone strukturiert werden. Neben der klaren Struktur zeichnet sich die Fassade durch ihre Leichtigkeit aus, die sie durch die sorgfältige Konstruktion, die genau erarbeiteten Fügungsdetails sowie die zurückhaltende Farbigkeit erhält. Gleichermassen selbstverständlich wurde die Bepflanzung in die Siedlung integriert: Grosse, leuchtend gelbe Metallcontainer bieten der Pflanzenwelt Freiheiten zum Ausbreiten und schaffen zugleich verschiedene Zonen im bekiesten Innenhof. Verstreut in der Siedlung, ergänzen zudem noch kleine, unscheinbare Kunstwerke die Pflanzenwelt und erinnern vielerorts an skulpturale Insektenhotels. Jedoch wird mit diesen Figuren, die als Kunst am Bau Teil des Projekts sind, erneut einBogen von der Vergangenheit in die Gegenwart gespannt: Vor dem Abbruch des Bestandbaus haben sich die beiden Künstler Lutz und Guggisberg an dessen Materialien bedient und diese zu neuen Objekten geformt. Die Skulpturen zu suchen, finden und letztlich zu interpretieren, lässt den Besuch im Westhof zur Entdeckungsreise werden und lädt zugleich dazu ein, die eigene Fantasie frei zu entfalten.

Aufblühen
Die freie Entfaltung der einzelnen Anwohnenden sowie der Gemeinschaft wurde im Allgemeinen im ganzen Projekt grosszügig mitgedacht: So haben die Architekt:innen den Innenhof lediglich mit einfachen und sehr wenigen Mitteln bespielt, um genug Raum zur individuellen Aneignung zu lassen. Vor dem Gemeinschaftsraum wurde eine grosse Betontafel platziert, die zum Verweilen, Zusammensitzen und Feiern einlädt, während neben dem Kopfbau eine Bodenerhöhung im Asphalt als einfacher Brunnen ausformuliert wurde.
Dank der Initiative des eigens initiierten Hofrats bespielt mittlerweile zudem wortwörtlich ein zentraler Spielplatz den Hof und verkörpert damit bestens die Idee der freien Entfaltung. Einen weiteren sozialen Knotenpunkt in der Nachbarschaft erlaubt ebenso die halböffentliche Ebene auf dem Flachdach des Flügelgebäudes. Zugleich bietet diese Dachterrasse Platz für Veranstaltungen, dient dem Urban Gardening und wird als Erholungsort für die Bewohnenden und Besucher:innen verstanden. Dies soll unter anderem die Gemeinschaft stärken, die im Austausch und in gemeinsamen kreativen Prozessen ihren erweiterten Wohnraum mitgestalten und mitbestimmen kann.
Scheinbar frei und wild, aber dennoch nach einem abgestimmten Konzept, umspielt die Flora den Neubau und lässt diesen im wahrsten Sinne des Wortes zum Aufblühen bringen. Dementsprechend wurden die Pflanzen aufgrund der erarbeiteten Steckbriefe der Vögel ausgewählt und bieten diesen sowie den Insekten im Nahrungskreislauf die notwendige Grundlage. Damit wird auch der Natur in gewisser Weise eine freie Entfaltung ermöglicht, die letztlich dazu beiträgt, die Identität des Ortes zu stärken sowie die Verbundenheit und Wertschätzung des Wohnraums in den Fokus zu stellen.

Geben und nehmen
Denn respektvolles Zusammenleben steht im Westhof definitiv im Zentrum: Die neue Siedlung in Dübendorf forciert ein Gleichgewicht zwischen der gebauten Umwelt und der Natur und schafft zugleich eine eigene Mikro-Biosphäre, welche die menschliche Besiedlung mit der Flora und Fauna verbindet. Hierfür wurde ein sich selbst erhaltendes Ökosystem im Ganzen betrachtet und die Landschaftsgestaltung auf die umgebende Insekten- und Vogelwelt abgestimmt sowie mit den vorgesehenen Nisthilfen der Kreislauf zu Ende gedacht. Welches Potenzial in der städtischen Architektur letztlich schlummert und wie mit bereits kleinen Mitteln zur Erhaltung und Förderung der biologischen Vielfalt beigetragen werden kann zeigen Conen Sigl Architekt:innen mit ihrem Neubau vorbildlich auf. So gibt die Siedlung der Natur einen wesentlichen Teil des Lebensraums zurück, der ihr durch die Bebauung und die fortschreitende Urbanisierung weggenommen wurde.

©Roman Keller

 

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