Inmitten der historischen Kernzone Meilens prägt ein hölzerner Schopf mit seinem markanten Giebel das Erscheinungsbild des vorhandenen Gebäudeensembles. Angesichts der Fragestellung nach der weiteren Nutzung des alten Gebäudes der reformierten Kirche konnte der Zürcher Architekt Peter Moor mit seinem Entwurf überzeugen: Von aussen scheint der Neuaufbau beinahe identisch zu sein mit dem alten Gebäude, während der ehemalige Schopf im Inneren ein komplettes Makeover erhielt. So wird dieser neuerdings als Wohnhaus genutzt, wodurch neues Leben in den historischen Kern einzieht, ohne das friedvolle Stadtbild unweit der Kirche in irgendeiner Form zu stören.
Vom ehemaligen landwirtschaftlichen Gebäude hin zur Unterkunft für Familien; von der Glaubensgemeinschaft zur Immobilienverwaltung: Diesen Wandel hat ein Schopf aus dem 18. Jahrhundert im alten Zentrum Meilens, der nun von der Kirchengemeinschaft verwaltet wird, erfahren – ohne dabei an seinem besonderen Charme einbüssen zu müssen. In unmittelbarer Nachbarschaft zur reformierten Kirche und in nächster Nähe zum Ufer des Zürichsees gelegen, nimmt das ungenutzte Stallgebäude neuerdings drei Wohneinheiten auf, die maximale Flexibilität erlauben und sich je nach Notwendigkeit verbinden sowie trennen lassen. Unter dem vermeintlich alten Dach und unter Beibehaltung der Hülle, haben Peter Moor Architekten geschickt das Maximum an Wohnfläche aus dem kompakten Gebäude herausgeholt. Mit ihrem Konzept der Wahrung der prägnanten Optik des Gebäudes konnte das Zürcher Architekturbüro den Wettbewerb für sich entscheiden.
Nicht oberflächlich sein
„Kleider machen Leute“, heisst es so schön, wenn man von der Erscheinung oder dem ersten Eindruck spricht. Denn bekannterweise fördert gepflegte, gute Kleidung – ein adrettes Äusseres – summa summarum das Ansehen und die Akzeptanz. Etwas umgemünzt wurde hier jedoch mit voller Absicht der erste Eindruck beibehalten und das äussere Kleid des historischen Gebäudes belassen, um ebenjene Sympathie sowie das bestehende Bild der Kernzone Meilens zu wahren. Um diesem Wunsch nachkommen zu können, wurde die bestehende Schalung vorsichtig entfernt, sorgfältig nummeriert, behutsam gebürstet und beinahe zu 100 Prozent wieder exakt auf das neu errichtete, geometrisch identische Gebäude aufgebracht. Lediglich bei wenigen Details – meist aufgrund von stärkeren Aufbauten und leicht veränderten Querschnitten – mussten kleine Anpassungen vorgenommen werden sowie an exakt geplanten Stellen neue Öffnungen integriert werden. So wurden beispielsweise die grossen Schopftore zu Falttoren umgebaut, erneut mit denselben Beschlägen zur Zierde versehen und bedienen nun die grössten Räume, die Wohnzimmer bzw. das Studioatelier, der beiden ebenerdigen Wohneinheiten. Bei weiteren Fensteröffnungen wurde die hinterlüftete Schalung partiell zu Schiebeläden umgebaut, die dabei eingelassen auf der gleichen Ebene wie die Holzschalung laufen und so eine einheitliche, zurückhaltende Erscheinung erzeugen. Mit diesen Massnahmen in der Gebäudehülle konnte die benötigte Belichtung der Innenräume für eine Wohnnutzung garantiert werden. Zudem mussten an wenigen Stellen neue Altholzbretter angebracht werden, wobei penibel auf ein diverses Fugen- und Nagelbild geachtet wurde, um keine Auffälligkeiten in der Holzfassade zu generieren. Aus diesem Grund wurden zum Anbringen der Holzbretter auch dunkle Schrauben verwendet, die sich vermeintlich in der Gebäudehülle tarnen und erst bei genauer Betrachtung ins Auge fallen.
Sorgfältig erneuert
Durch diese gestalterischen und handwerklichen Details erscheint der Neubau im geschlossenen Zustand scheinbar komplett unverändert – dieselbe Schalung gemeinsam mit derselben Geometrie verraten auf den ersten Blick nichts von der konträren Nutzung des ehemaligen landwirtschaftlichen Gebäudes. Und doch verbirgt sich abseits des Raumprogramms so einiges Neues in dem Bau: Auf einem Sockelgeschoss aus gestocktem Beton steht nun ein neu errichteter Holzelementbau, der aus statischen Gründen ohne eine Unterkellerung realisiert wurde. Durch die Materialkombination der Holzschalung und des hellen Sockels wurde ein Hell-Dunkel-Kontrast geschaffen, neben dem die dunklen Rahmen der Stahlfenster weitere, sehr dezente Akzente im äusseren Erscheinungsbild setzen, wobei gleichzeitig das Portfolio der verwendeten Materialien erweitert wurde. Dennoch bleibt der Schopf in seiner Wahrnehmung, wie man ihn zuvor schon kannte: Die untere Partie bleibt erneut in Stein hell, während der obere Teil weiterhin in ein dunkles Holzkleid gehüllt ist. Die neuen, raumhohen Fenster verstehen sich im gleichen Zuge als französische Balkone, und zwei bündig eingebaute Dachflächenfenster zieren neuerdings die Rückseite des Giebeldachs.
Aller guten Dinge sind drei
Unter diesem prägnanten Dach beinhaltet der Schopf neuerdings drei Wohneinheiten: je eine 3,5-ZimmerWohnung im Erd- sowie im Obergeschoss und eine geschickt eingefügte Studiowohnung im Parterre, die funktional zu beiden dazugeschaltet werden könnte. All die Wohnräume orientieren sich gut besonnt zur Gasse des Dorfkerns hin und haben durch grosszügige Raumhöhen und die helle Materialisierung enorme Raumqualitäten erhalten. Der Zugang zu den drei Wohneinheiten im ehemaligen Stall wurde dabei über den ursprünglichen Eingang gelegt. Dieser neu gestaltete Entréekorridor wurde somit auf pragmatische Weise als zentrale Erschliessung umgestaltet, die mit einer dunkel gehaltenen Materialisierung aus schwarzen Türen und dunkelroter Wand- und Fliesenfarbe einen starken Kontrast zu den wiederum hellen, hohen Räumen der Wohnungen darstellt.
Die grosse Wohnung im Erdgeschoss liegt dabei direkt am Ende des Korridors und umschliesst mit ihrem Grundriss das strassenseitige Studio. So greift sie architektonisch hinten durch, mündet mit ihrem grossen Wohnzimmer im eingeschossigen Annexteil und erlaubt eine Ausrichtung der Schlafzimmer zur ruhigen Rückseite hin. Etwas ungewöhnlich verhält sich in diesem Grundriss die Küche, die als Funktionsraum im überbreiten Durchgang zum Wohnzimmer gestaltet ist und somit von beiden Seiten Tageslicht bekommt. Dadurch versteht sich dieser Raum als Treffpunkt und fungiert zugleich als Drehscheibe im Zentrum des Wohnungsgrundrisses. Analog zum dunkleren Entrée verhält sich auch die Küche und greift im Gegensatz zum restlichen hellen Wohnraum, der teilweise mit einer weissen Holzverschalung aus Fichte verkleidet ist, dessen Farbgebung auf. Die erforderliche Reduitfläche sowie ein eigener Waschturm wurden in dieser Wohnung geschickt in Einbauschränken untergebracht, sodass ein klarer, aufgeräumter Raum entsteht.
Die Studiowohnung hingegen erinnert aufgrund ihrer Positionierung an einen Atelierraum: Sie besetzt den hohen Stallraum an der strassenseitigen vorderen Ecke und kann somit auch als Ausstellungsraum für Kunsthandwerk oder als Büroraum genutzt werden. Zusätzlich lässt sich die Studiowohnung mit inneren Türen funktional sinnvoll mit den jeweils beiden grossen Wohnungen verbinden. Dabei hat sie eine eigene Nasszelle sowie im Entréebereich eine kleine Küche – somit funktioniert sie im Bedarfsfall autonom. Die Obergeschosswohnung hat im Erdgeschoss lediglich ein Entrée mit Garderobe, von wo aus eine mittig positionierte Treppe hinaufführt und im zentralen Wohnkorridor endet.
Die Wohnräume dieser Einheit orientieren sich ebenfalls zum Sterneggweg, gliedern sich durch leicht differenzierte Bodenniveaus und verdanken ihre grosszügige Wirkung der enormen Raumhöhe sowie der hellen Materialisierung. Die Schlafräume liegen auch hier auf der ruhigen Rückseite des Schopfes, wobei die Dachwohnung ein zusätzliches Zimmer im niedrigen Galerieraum des rückwärtigen Flügels besitzt – ein Extraarbeitsraum oder ein weiteres Gastzimmer. Ebenfalls ein Raumwunder ist die obere Wohneinheit, wo geschickt integrierte Einbauschränke genügend Stauraum bieten und dabei zugleich als Absturzsicherung, Raumtrenner oder Arbeitsfläche dienen – Letzteres zeigt deutlich die Handschrift des Zürcher Architekturbüros.
Gut integriert
Neben dem Erscheinungsbild des ehemaligen landwirtschaftlichen Gebäudes wurde auch die Umgebung für die Kernzone möglichst typisch belassen. So wurde die Zone vor dem Haupteingang bewusst gepflästert und als fliessender öffentlicher Raum bis zum Haus hin geführt. Mit einer kleinen Sitzbank vor dem Haus dient sie vor allem der oberen Wohnung als Aussenraum und greift zugleich ein klassisches Thema des Dorflebens auf. Die Vorzone vor dem Annex wird mit einem sickerfähigen Kiesplatz befestigt und dient der Wohnung im Parterre als offener Sitzplatz, wobei der Materialwechsel etwas Privatsphäre markiert. Auf eine Einfriedung oder eine Hecke wurde in der weiteren Gestaltung verzichtet, wobei jedoch der bestehende Zaun aufgefrischt und wiederverwendet wurde. Dieser markiert die Grenze zum Garten, der in Anlehnung an die alten Bauerngärten gestaltet wurde. Die Rückseite des Schopfes wurde analog zu den Nachbargärten als eingefriedeter Grünraum mit kleinen Sitzflächen realisiert.
Das Rad nicht neu erfinden
Auf Altbewährtes zu setzen und vor allem dabei bestehende Qualitäten zu erkennen und beizubehalten, bildete in diesem Projekt eindeutig den Schwerpunkt. Dass die Lösung einem meist bereits vor den Augen liegt, nur erkannt und angenommen werden sowie gegebenenfalls an neue Anforderungen angepasst werden muss, zeigt dieser gut getarnte Neubau famos auf. So versteht sich – gerade hinsichtlich des Themas der Wiederverwendung und der Ressourcenschonung – die Erhaltung der ursprünglichen Fassade mehr als logisch. Zugleich erhöht dieser gestalterische Wille die Akzeptanz des neuen Raumprogramms des Ersatzneubaus, der sich baulich wie zuvor in die Kernzone von Meilen eingliedert. Dank der integrierten Wohneinheiten wird gleichzeitig zur Belebung des historischen Dorfteils beigetragen und Baukultur in gewisser Weise ins Hier und Jetzt transformiert. Vorweg wurde eine genaue und sorgfältige Analyse des Baubestandes durchgeführt, wodurch die räumlichen Qualitäten des Schopfes, wie die grossen Scheunentore oder auch die überdurchschnittlichen Raumhöhen, hervorkamen und geschickt in eine Wohntypologie übersetzt werden konnten. So kann das Projekt als Vorbild verstanden werden, um die Grenze zwischen Alt und Neu künftig facettenreicher zu verstehen. Zudem zeigt dieses Bauvorhaben auf, dass es sich lohnt, den verborgenen, erst auf den zweiten Blick ersichtlichen Schätzen eine Gewichtung zu verleihen, die ein Unikat schaffen.
©Roger Frei
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