• PLANEN, BAUEN, WOHNEN, LEBEN IN ZUKUNFT THE FUTURE IS PINK

Möglichkeiten eröffnen

Im Norden Stuttgarts hat das Architekturbüro a+r mit seinem Entwurf für den Erweiterungsbau der Grundschule Stammheim eine zeitgemässe Antwort auf die wachsenden Anforderungen im Bildungsbereich gefunden. Die Grundschule erfuhr eine progressive Erweiterung, die nicht nur funktionale Räume für die rund 400 Schüler und 30 Lehrer schafft, sondern das tut, was Architektur im besten Fall immer tut: Sie eröffnet Möglichkeiten.

Bauliche Herausforderungen
Aufgrund des gestiegenen Raumbedarfs und der Einführung eines Ganztagsangebotes wurde ein dritter Bauabschnitt für die Grundschule Stuttgart-Stammheim notwendig. Bauherr und a+r Architekten nahmen sich vor, den Neubau in Holzbauweise zu erstellen. Die grösste Herausforderung dabei war, das Bauvolumen so zu gestalten, dass der Ergänzungsbau baurechtlich der Gebäudeklasse 3 zugeordnet wird. Bei einer höheren Gebäudeklasse wären die Anforderungen an Brandschutz um ein Vielfaches höher geworden. Die damit einhergehende Höhenbeschränkung – die oberste Fussbodenhöhe muss unter sieben Meter Höhe liegen – ergab, dass sich die jeweiligen Geschosshöhen des dreistöckigen Baus auf 3,50 Meter beschränken musste. Um ausreichend lichte Raumhöhen für die Schulräume zu schaffen, durften die Decken mit maximal 30 Zentimeter Konstruktionshöhe ausgeführt werden. Möglich war dies für die weit gespannten Decken in den Klassenzimmern – kombiniert mit der nicht orthogonalen Grundgeometrie des Neubaus – nur mit einer Holz-Beton-Verbunddecke (HBV). Um die Tragfähigkeit weiter auszureizen, wurde bei den HBV-Decken mit sogenannten Kerven gearbeitet. Diese sind ein geometrischer Formschluss, bei dem in die Holzlage Aussparungen eingearbeitet werden, und die Ortbetondeckung sich dann in den Einkerbungen „verhakt“.

Rautenform und Holzfassade
Das Gebäude integriert sich östlich des Hauptgebäudes an der Burtenbachstrasse in den bestehenden Schulkomplex auf dem ehemaligen Pausenhof. Sein rautenförmiger Grundriss entsteht durch die geometrischen Randbedingungen der Nachbarbebauung und verleiht dem Bau eine weiche Kontur durch seitlich abgeschnittene und abgerundete Ecken. Von aussen präsentiert sich der Erweiterungsbau als eine Kombination aus grossen Glasflächen und geschlossenen hellgrauen Holzpartien aus Weisstanne. Die vertikale Holzlattung wird durch eine horizontale Gliederung strukturiert: So wechseln sich breite Bänder mit schmalen Holzlatten und schmale Bänder mit breiten Holzlatten ab, wodurch eine Dynamik entsteht, die im Zusammenspiel mit den unterschiedlichen Fensterformaten eine differenzierte Fassade bildet. Ein sich verjüngendes Dach markiert den Haupteingang, der vom Pausenhof aus zugänglich ist. Hier schliesst sich das Haupttreppenhaus an, das sich in der Fassade durch seine fensterlose und grossflächige Ausrundung abzeichnet.

Helles Holz für gute Atmosphäre
Im Inneren übernimmt die Treppe die Funktion eines wichtigen räumlichen Gestaltungselements und stellt in seiner gerundeten Form eine Besonderheit dar. Das Haupttreppenhaus im Norden des Gebäudes kommt ohne Stützen im grossräumigen Treppenauge aus. Dabei werden die Lasten der drei gerundeten Treppenläufe vollständig in die Aussenwände und Geschossdecken abgeleitet. Die Treppenbrüstungen bestehen aus massiven Weisstannenlamellen, die zu gebogenen Scheiben verleimt an den Treppenläufen befestigt sind. Ein zentrales Oberlicht versorgt das Treppenhaus mit Tageslicht.
An den Wandflächen und Einbaumöbeln findet sich das helle, naturbelassene Holz der Weisstanne wieder. Das Holz schafft eine warme, natürliche Ästhetik und ist zudem eine architektonische Besonderheit, da die Wände durch ihre zweischalige, schallentkoppelte Konstruktion die hohen baurechtlichen Schallschutzanforderungen erfüllen. Helle Kautschukböden und weisse Decken ergänzen den freundlichen Farbkanon und sorgen zusammen mit den grossflächigen, teilweise bodentiefen Verglasungen für eine freundliche Atmosphäre mit optimaler Tageslichtversorgung. Die Architektur ist reduziert und setzt auf die Wirkung und Atmosphäre der gewählten Materialien.

Innovative Raumaufteilung
Die vertikale Erschliessung der Geschosse erfolgt über das Haupttreppenhaus und eine weitere zweiläufige Treppe im Süden des Gebäudes. An die zentralen Erschliessungen sind die Funktionsbereiche mit Sanitär- und Haustechnikräumen angegliedert. Ein Aufzug sorgt für den barrierefreien Zugang der Geschosse.
Das Raumprogramm folgt nicht den üblichen Strukturen, bei denen die Klassenräume entlang eines Flures aufgereiht sind. Dem Clustergedanken folgend, gibt es in jedem Geschoss zwei Raumgruppen, in denen sich jeweils drei modern ausgestattete Klassenräume mit den dazugehörigen Differenzierungsräumen um eine zentrale, sich aufweitende Erschliessungsfläche gruppieren, die wiederum als Kommunikationsort dient oder für offene Unterrichtsformen genutzt werden kann. Hier befinden sich funktional unterteilte Garderobeneinbauten aus Weisstanne, die den Klassenräumen zugeordnet sind. Eine Glaswand zwischen Clusterzentrum und Differenzierungsraum schafft räumliche Nähe und ermöglicht gleichzeitig eine Blickbeziehung vom Zentrum nach aussen.

Innen und aussen nachhaltig
Der Holz-Neubau wurde nach den Nachhaltigkeitskriterien des Landes Baden-Württemberg errichtet, die zukunftsverträgliche Bauweisen fördern und die ökologischen, ökonomischen und soziokulturellen Qualitäten von Gebäuden stärken sollen. So erreicht der Erweiterungsbau eine Energieeffizienz, die 30 Prozent unter dem Standard der Energieeinsparverordnung (EnEV) liegt. Weitere Kriterien sind u. a. die nachhaltige Ressourcennutzung bei Holz- und Betonbauteilen, die Verwendung gesundheits- und umweltverträglicher Baustoffe oder die thermische und akustische Behaglichkeit in den Innenräumen. Im Erweiterungsbau zeugen eine Photovoltaikanlage auf dem Dach, Vogelschutzverglasung, Dachbegrünung, eine Nahwärmeanlage mit Fussbodenheizung und eine Lüftungsanlage mit Nachtauskühlung von einem durchdachten ökologischen Ansatz. Die Aussenanlagen sind um den Baumbestand herum geplant und alle Bodenbeläge zu 100 Prozent sickerfähig. Glatte Betonwerksteine unter den Bäumen dienen als Aufenthalts- und Spielflächen.

a+r haben mit dem Erweiterungsbau die Aspekte des nachhaltigen Bauens mit einer innovativen und experimentellen Bauweise verbunden und dabei die Balance zwischen Kreativität und Funktionalität gefunden, die sowohl den Bedürfnissen der Schule gerecht wird als auch eine zeitgemässe pädagogische Arbeit unterstützt.

Text: Rainer Häupl/ bering*kopal GbR, Büro für Kommunikation

© Brigida González

 

Weitere Informationen zu dem Büro finden Sie hier.

Meistgelesen

Meistgelesen